Synästhesie
Synästhesie (griech.: syn = gleichzeitig, aesthesis = Wahrnehmung) bezeichnet das gleichzeitige, unwillkürliche Wahrnehmen verschiedener, eigentlich nicht zusammengehörender Sinneseindrücke. Es wird oft als „Vermischung der Sinne“ beschrieben, bei der ein Reiz in einem Sinneskanal zugleich eine Wahrnehmung in einem anderen Sinneskanal auslöst.
Manche Menschen sehen bspw. Farben, wenn sie Musik hören, andere schmecken Formen oder erleben einen Geruch bei bestimmten Wörtern. Die häufigsten Formen sind das Farbenhören (eine Farbe oder geometrische Form ist fest mit einem bestimmten Ton verbunden) und die Farb-Graphem-Synästhesie (hierbei werden Buchstaben / Zahlen mit Farben belegt). Deutlich seltener ist bspw. die sogenannte Mirror-Touch-Synästhesie, bei der Betroffene eine Berührung, die sie bei anderen sehen, deutlich am eigenen Körper spüren.
Obwohl die individuellen Ausprägungen variieren, wurden auch gewisse Gemeinsamkeiten festgestellt. So wird z. B. häufig ein Zusammenhang zwischen der Höhe eines Tons und der Helligkeit einer Farbe beobachtet.
Häufigkeit und Merkmale
Die Häufigkeit (Prävalenz) von Synästhesie in der Bevölkerung wird auf 0,05 % bis 4 % geschätzt (das Phanomen ist schwierig zu untersuchen, weswegen die Zahlen schwanken), wobei Frauen etwas häufiger betroffen sind. Synästhesie hat wahrscheinlich eine genetische Komponente, die genaue Ursache ist nicht bekannt. Jede Synästhesie kann durch ein auslösendes Element (z.B. Buchstaben) und eine ausgelöste Wahrnehmung (z.B. Farben) beschrieben werden. Diese Kopplung ist automatisch und nicht unterdrückbar. Entscheidend ist die individuelle Konsistenz der Kopplung über lange Zeiträume.
Man unterscheidet drei verschiedene Arten von Synästhesie bezüglich ihrer Entstehung:
Genuine Synästhesie: Konstante, seit der Kindheit bestehende Kopplungen zwischen Auslöser und Ausgelöstem.
Erworbene Synästhesie: Entsteht durch einen neuropathologischen Zustand.
Drogeninduzierte Synästhesie: Vorübergehende, variable Kopplungen durch psychoaktive Substanzen.
Keine Erkrankung
Synästhesie gilt nicht als neurologische Erkrankung, da sie keine schwerwiegenden Einschränkungen im Alltag verursacht. Frühkindliche Erfahrungen können die Ausprägung der Synästhesie beeinflussen, oft sind aber auch keine Zusammenhänge zur Kindheit erkennen. Es gibt keine direkten Verbindungen der Synästhesie zu psychiatrischen Erkrankungen. Psychophysikalische Experimente haben vielmehr gezeigt, dass synästhetische Wahrnehmung ein rein perzeptuelles Phänomen ist, also erst durch die Wahrnehmung an sich entsteht. Gelegentlich kann Synästhesie auch durch Epilepsie ausgelöst werden.
Bildgebende Verfahren haben die Synästhesieforschung in den letzten Jahren beflügelt. Die Forschung konzentriert sich vor allem auf die neurologischen Grundlagen der Graphem-Farb-Synästhesie.
Erklärungsmodelle
Cross-Activation-Modell: Erhöhte Querverbindungen zwischen normalerweise getrennten Hirnregionen bleiben bei Synästhetikern bestehen, während sie bei anderen Menschen ca. drei Monate nach der Geburt verkümmern.
Disinhibited Feedback Modell: Gestörte Hemm-Mechanismen zwischen Hirnarealen führen zu erhöhter synaptischer Übertragung.
Reentrant Processing Modell: Veränderte Rückkopplung von höheren zu niedrigeren Hirnregionen bei der Signalverarbeitung.
Syntactic Theory of Synesthesia: Ein Mehr an Verknüpfung verschiedener Sinnesinformationen durch Hyperaktivität bestimmter Hirnareale.
Die Modell schließen einander nicht zwingend aus, so ist auch eine Kombination denkbar. Zusammengefasst handelt es sich bei Synästhesie um ein reales neurophysiologisches Phänomen und nicht um Einbildung der Betroffenen.
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