Stellen Sie sich ein Team vor, das von einer Vielfalt an Perspektiven und Denkweisen geprägt ist: Einige Mitglieder arbeiten detailgenau und strukturiert, während andere kreative Problemlösungen und unkonventionelle Ansätze einbringen. Diese Unterschiede entstehen nicht zufällig, sondern sind Ausdruck neurodiverser Varianten und Denkstile, die in unserer Gesellschaft, aber vor allem am Arbeitsplatz oft ungenutzt bleiben.

Was ist Neurodiversität?

Der Begriff „Neurodiversität“ beschreibt die natürliche Vielfalt der Gehirne; die neurologische Verschiedenheit im Wahrnehmen und Denken (siehe auch https://www.instagram.com/p/DA8WME0Nfgj/?img_index=1). Spricht man von Neurodiversität, dann umfasst dieser Begriff neurotypische Personen ebenso wie neurodivergente Menschen, also solche mit bspw. ADHS / ADS, Autismus-Spektrum-Störungen, Synästhesie, Legasthenie, Dyskalkulie oder Hochsensibilität. Schätzungen zufolge ist etwa jede fünfte Person in Deutschland neurodivergent. Wie können Unternehmen also ein Umfeld schaffen, in dem neurodivergente Mitarbeitende nicht nur inkludiert, sondern als bereichernd anerkannt werden? Werfen wir einen Blick auf die Chancen, Herausforderungen und Ansätze für eine Kultur der Neurodiversität am Arbeitsplatz.

Wegbereiter oder Weicheier?

Menschen aus dem neurodivergenten Spektrum wird viel zugeschrieben – Gutes wie Schlechtes. Je nachdem, welcher Entwicklungsvariante sie angehören, schätzt man ihre Problemlösungsfähigkeiten, das kreative Denken über den Tellerrand, das Innovationspotenzial oder – bspw. bei Autismus – die Detailgenauigkeit. Menschen mit ADHS oder Hochsensibilität werden darüber hinaus oft als empathisch beschrieben und besitzen eine gute Intuition, was für die Arbeit mit und am Menschen hilfreich sein kann. Neurodivergente Mitarbeitende können aber auch impulsiv oder sozial unangemessen reagieren, sind schnell reizüberflutet, leicht ablenkbar und erleben Stress oft besonders intensiv.

Studien bestätigen, dass bspw. hochsensitive Personen einerseits empathischer und kreativer sind 1, andererseits aber auch Stress- und Burnout-gefährdeter.2  Wyrsch et al (2020) haben herausgefunden, dass Personen, die ihre Neurosensitivität eher als Vorteil erleben (Vantage-Sensitivität) höhere Leistungen zeigen als Personen, die ihre Neurosensitivität eher als Nachteil erleben (Vulnerable Sensitivität).3 Haben Menschen mit einer vulnerablen Sensitivität jedoch förderliche Arbeitsbedingungen, erbringen sie sogar eine etwas höhere Aufgabenleistung als wenigsensitive Mitarbeitende. Die höchste Aufgabenleistung erbrachten Duos aus vantage-hochsensitiven Mitarbeitenden mit vantage-hochsensitiven Führungskräften. Wenn vulnerabel-hochsensitive Mitarbeitende von vantage-hochsensitiven Führungskräften geführt werden, wird ihre tendenziell verringerte Aufgabenleistung durch die Führungsperson erhöht. Vantage-Sensitivität ging in den Untersuchungen mit erhöhter Führungsqualität von Führungskräften einher, vulnerable Sensitivität mit verringerter Führungsqualität.

Mit den passenden Kontextbedingungen sind hochsensitive oder andere neurodivergente Mitarbeitende also sehr wohl leistungsfähig. Was aber sind förderliche Kontextbedingungen am Arbeitsplatz?

Förderliche Arbeitsbedingungen bei Autismus, ADHS und Co.

Als Organisation können Sie die Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit Ihrer neurodiversen Beschäftigten gezielt fördern, indem Sie ein inklusives Arbeitsumfeld schaffen. Die meisten Menschen mit Autismus, ADHS, ADS oder Hochsensibilität leiden bpsw. unter einer Reizfilterschwäche, d.h. sie können Reize nicht so filtern wie neurotypische Menschen. Akustische, visuelle oder taktile Reize prasseln daher ununterbrochen auf sie ein – das stresst.

Um dennoch gut arbeiten zu können, haben sich z.B. folgende Maßnahmen als hilfreich erwiesen:

  • eine reizarme Umgebung: kleine Büros, kein Durchgangsverkehr, Rückzugsräume, geeignete Lichtsituation …
  • flexible Arbeits- und Pausenzeiten
  • klar kommunizierte Strukturen und Abläufe
  • eine wertschätzende, klare Kommunikation
  • klare, direkte Absprachen
  • regelmäßige Feedback-Gespräche
  • diskriminierungsfreie Organisationsstrukturen

Strategien zur Förderung von Neurodiversität im Unternehmen

Als Unternehmen können Sie bereits bei der Rekrutierung darauf achten, neurodivergente Talente nicht auszuschließen. Formulieren Sie Stellenanzeigen so, dass sie inklusiv und einladend für neurodiverse Bewerbende sind. Dabei sollte auf eine klare, konkrete Sprache geachtet und stereotype Beschreibungen vermieden werden.

Klassische Vorstellungsgespräche können für Personen aus dem neurodiversen Spektrum oft eine hohe Hürde sein. Bieten Sie daneben auch alternative Formate wie strukturierte Interviews, praktische Aufgaben oder Arbeitssimulationen an, um die Fähigkeiten neurodiverser Bewerbenden einschätzen zu können. Bei der Bewertung von Kandidatinnen und Kandidaten sollte der Schwerpunkt auf den tatsächlichen Fähigkeiten und Potenzialen liegen, nicht ausschließlich auf formalen Qualifikationen oder lückenlosen Lebensläufen.

Auch Mentoring-Programme können neurodivergente Personen unterstützen: Eine Begleitung, die auf die individuellen Bedürfnisse des Mentees abgestimmt ist, bietet wertvollen Erfahrungsaustausch und vermittelt das Gefühl, nicht alleine dazustehen.

Nicht zuletzt sind Beratungen, Workshops oder Schulungen für das neurodiverse Team, den neurodivergenten Mitarbeitenden und die Führungskraft ratsam und hilfreich. Das dabei gewonnene gegenseitige Verständnis reduziert Vorurteile und Missverständnisse. So erhöht sich die Zufriedenheit, Bindung und Produktivität des gesamten Teams.

Fazit

Beschäftigte mit ADHS, Autismus oder Hochsensibilität haben Stärken und Schwächen wie andere Menschen auch. Damit sie ihr volles Potenzial entfalten können, sind sie aber stärker als neurotypische Mitarbeitende auf unterstützende Rahmenbedingungen angewiesen. Die Integration neurodivergenter Menschen ins Unternehmen bringt oft die Notwendigkeit mit sich, klare Kommunikationsstrukturen und unterstützende Arbeitsumgebungen zu schaffen – Aspekte, die dem gesamten Team zugutekommen.

Quellen

  1. Acevedo, B. P., Aron, E. N., Aron, A., Sangster, M., Collins, N., & Brown, L. L. (2014). The highly sensitive brain: An fMRI study of sensory processing sensitivity and response to others‘ emotions. Brain and Behavior, 4(4), 580–594. / Bridges, D., & Schendan, H. E. (2019). The sensitive, open creator. Personality and Individual Differences, 142, 179–185 ↩︎
  2. Andresen, M., Goldmann, P., & Volodina, A. (2018). Do overwhelmed expatriates intend to leave? The effects of sensory processing sensitivity, stress, and social capital on expatriates‘ turnover intention. European Management Review, 15, 315–328. / Evers, A., Rasche, J., & Schabracq, M. J. (2008). High sensory-processing sensitivity at work. International Journal of Stress Management, 15(2), 189–198. ↩︎
  3. Wyrsch, Patrice, de Groote, Julia & Hack, Andreas (2020): Hoch(neuro)sensitive Mitarbeitende: Weicheier oder Wunderkinder? In: Arbeitsberichte des Instituts für Organisation und Personal, Abteilung Personal, der Universität Bern. Ausgabe 2020-1. Bern Open Publishing. Verfügbar unter: https://boris-portal.unibe.ch/entities/publication/02c5720a-45e7-483b-8179-fe4852468183 ↩︎

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