Kategorie: Blog

  • ADHS als Titelstory

    ADHS als Titelstory

    Eine Replik auf die SPIEGEL Titelgeschichte 03/2025 und damit verbundene Social Media Beiträge

    DER SPIEGEL hat sich in der aktuellen Ausgabe dem Thema ADHS gewidmet und ist dabei der Frage nachgegangen, ob hohe Fallzahlen mit verbesserter Diagnostik oder einem Social Media Hype zusammenhängen. Diese Frage haben sich in der Vergangenheit auch schon andere gestellt (z. B. ich in diesem Instagram-Beitrag).

    Dennoch hat der Artikel unter denjenigen, die sich auf Instagram, YouTube oder in anderen sozialen Medien mit ADHS beschäftigen, Kritik hervorgerufen. Für mich Anlass genug, mir nach langer Zeit mal wieder einen SPIEGEL zu besorgen (6,30 EUR, ernsthaft??).

    Unbestreitbar haben sich im Artikel kleine Fehler eingeschlichen, auf die via Instagram auch bereits Angelina Boerger (@kirmesimkopf) und Vanessa Ebert (@nessadhs) hingewiesen haben:

    „Neurodivers, das sind Menschen wie Weippert, in deren Gehirn die Dinge anders laufen.“ (Bernard & Padtberg, S. 8)
    Einzelne Menschen mit ADHS, ADS oder z. B. der Autismus-Spektrum-Störung bezeichnet man nicht als neurodivers, sondern als neurodivergent. Divers, ob mit der Vorsilbe Neuro- oder ohne, sind immer mehrere. Neurodivers sind bspw. alle menschlichen Gehirne zusammen, weil mehrere Arten des Denkens, Wahrnehmens und Interagierens versammelt sind.

    „Eine psychische Störung bei Kindern, die…“ (ebd., S. 10)
    Es handelt sich bei ADHS um eine neurologische Störung, nicht um eine psychische. Einfach ausgedrückt könnte man sagen, dass es sich bei der Neurologie eher um die Hardware handelt, bei der Psychologie eher um die Software. Aber da früher alles zusammen mal ein Fachgebiet ‚Nervenheilkunde‘ war: geschenkt.

    In Verbindung mit den Begriffen ‚Hype‘ oder ‚Modediagnose‘ wird das Thema natürlich direkt ‚geframed‘ und ein bestimmtes Narrativ gesetzt. Das ist für diejenigen, denen ADHS eine Bürde ist und die beruflich oder privat keinen Fuß auf den Boden kriegen, schwer auszuhalten. Und wird in einigen Kommentaren deutlich kritisiert. Dennoch: Auch und gerade als Journalist:in muss man die Frage stellen dürfen: Wachsen die Zahlen und handfesten Diagnosen wirklich (und wenn ja, welchen Anteil daran hat unsere Gesellschaft?) oder ist das Socia Media Phänomen einfach überbewertet (und wenn ja, welchen Anteil daran hat unsere Gesellschaft?)?

    Vielleicht ist das der Weg, den kulturhistorische Phänomene, die mal als Krankheit betrachtet werden und mal nicht, im Laufe der Zeit eben gehen müssen?

    Ich bin im Übrigen froh darüber, dass Manuale wie DSM oder ICD regelmäßig an den aktuellen Stand der Wissenschaft angepasst werden und nicht auf alle Zeiten im Erstentwurf verharren. Der SPIEGEL (ebd., S. 13) möchte mit dem Hinweis auf eine häufige Anpassung dieser Diagnostik-Manuale einerseits zeigen, wie schwer die Entwicklungsstörung ADHS zu fassen ist, unterstellt aber zugleich eine gewisse Willkür der Beschreibung und diagnostischen Kriterien. Ich hingegen unterstelle korrektes wissenschaftliches Vorgehen im Wandel der Zeit (obgleich ein zu langsames Vorgehen, denn das ICD-11 kommt trotz seines Inkrafttretens im Januar 2022 in der medizinischen Praxis noch immer nicht zur Anwendung).

    Problematischer scheint mir, dass der Artikel ohne Hinweis darauf auskommt, dass ADHS bei Frauen subtiler auftreten kann und sie deshalb lange Zeit übersehen wurden. Diese Frauen stoßen oft erst im mittleren oder späten Alter auf die Möglichkeit, dass ADHS ihren bisherigen Lebens(ver)lauf und das damit verbundene ‚Scheitern‘ (so wird es oft empfunden) mitbestimmt hat. Warum kommen sie gerade jetzt drauf? Wegen des ‚Social Media Hypes‘. Sie begeben sich auf die Suche nach einer Diagnostik und die Fallzahlen steigen. So schließen sich Kreise.

    Nicht einverstanden bin ich mit der SPIEGEL-These, ADHS füge sich in die „Theorie des Singulären“ (ebd., S. 12) nach Andreas Reckwitz erstaunlich gut ein. So sehr ich die Reckwitzsche Gesellschaftsdiagnose an sich schätze, so wenig betrachte ich ADHS oder Neurodiversität als einen Ausdruck hiervon. Als Betroffene und Soziologin behaupte ich: Die Motivation hinter dem ‚Sichöffentlichmachen‘ scheint mir, im Gegenteil, häufig gerade das Bedürfnis danach zu sein, endlich einmal nicht ‚anders‘, sondern in und mit einer sozialen Bewegung weniger singulär zu sein. Das schließt nicht aus, dass manche extrovertierte Creator:innen ihren Auftritt genießen und sich – ob aus Lust oder purer Zwangsläufigkeit – als individuelle Person präsentieren.

    Nach Niklas Luhmann ist Krankheit übrigens keine objektiv gegebene Tatsache, sondern wird gesellschaftlich konstruiert. Diese Konstruktion hängt, wie andere auch, von den Normen und Erwartungen ab, die in gesellschaftlichen Funktionssystemen (hier: der Medizin) etabliert werden. Aktuell geltende gesellschaftliche Normen definieren also, was als normal und was als abweichend gilt. Die Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit ist demzufolge nicht naturgegeben, sondern wird sozial konstruiert, entlang kultur- und zeitabhängiger Vorstellungen von Normalität.

    In den Reaktionen auf die SPIEGEL-Titelstory zeigt sich wohl auch eine sensible Gesellschaft, wie sie Svenja Flaßpöhler (2021) beschrieben hat: „Sensibilität ist eine zivilisatorische Errungenschaft. Im Kampf um Anerkennung unterdrückter Gruppen spielt sie eine wichtige Rolle. Aber sie kann auch vom Progressiven ins Regressive kippen.“ Damit möchte ich Flaßpöhlers These weder stützen noch ihr widersprechen. Ich meine nur: Ein wenig mehr Gelassenheit täte momentan nicht nur diesem, sondern vielen unserer gesellschaftlichen Diskurse gut.

    Dem Titelthema ADHS hat der SPIEGEL zwei weitere Artikel gewidmet: Im ersten (Hackenbroch, S. 15-17) beschreiben Dr. Georg Ziegler (Universitätsklinikum Würzburg) und Dr. Daniel Schöttle (Asklepios Klinikum Harburg), wie sie ADHS diagnostizieren, warum Betroffene schneller in eine Überforderung geraten können und wie sich ADHS behandeln und damit leben lässt. Das ist erhellend und interessant zu lesen, selbst wenn man seine Diagnose bereits hat. Weil es eben keine spezifischen Biomarker im Blut zu finden gibt, braucht es während der Diagnostik vor allem eine intensive Beschäftigung mit dem Menschen in mehreren Terminen. Auch dass ADHS oft in dauerhaftem Stress mündet und herausfordernde Lebensereignissen wie die Geburt des Kindes, die Pflege der Eltern oder der Verlust eines geliebten Menschen schneller und tiefer in die Überforderung führen, sollte man wissen.

    Als Dr. Ziegler von der Autorin des Artikels mit den Worten zitiert wird „der Korridor zwischen Langeweile und Überforderung […] sei bei ADHS schmaler“ (ebd., S. 16), was vor allem bei der Arbeit zum Problem werden kann, möchte ich meine Zustimmung am liebsten persönlich übermitteln (verzichte aber fürs Erste darauf, um mich nicht zu verzetteln). Wichtig ebenfalls: Menschen mit hoher Intelligenz oder viel sozialer Unterstützung „könnten ihre ADHS-Symptome zwar mitunter gut kompensieren […], aber auch sie hätten am Ende oft das Gefühl, unter ihren Möglichkeiten zu bleiben“ (ebd.). Ein Gefühl, das mich seit der weiterführenden Schulzeit begleitet. ADHS könne mitunter auch zu unglaublich komplizierten Lebensläufen führen, worunter einige Patienten sehr litten, weil sie eigentlich nur mal zur Ruhe kommen wollen. Auch das spricht mir aus der Seele.

    Das was Dr. Ziegler „zur Ruhe kommen“ nennt, beschreibt Sascha Lobo in seinem Essay zum Thema als „eine Form von Action-Balance“ (Lobo, S. 18). Der Publizist, Autor und Podcaster (@saschalobo) erlebt seine ADHS als dauerhaftes Streben nach einer Balance aus ‚zu viel‘ und ‚zu wenig‘ (Input, Gefühl, Erleben). Dem Gehirn-Dopaminmangel mit neuen Erlebnissen und den damit verbundenen Gefühlen Abhilfe zu schaffen, dann aber wieder einen Mangel an Klarheit, Ruhe oder Leichtigkeit zu spüren – treffender hätte man die meinem Leben zugrunde liegende Struktur nicht beschreiben können. So etwas kostet Kraft und führt daher, s. o., häufig zu chronischem Stress und Erschöpfung.

    Lobo ordnet das ADHS-Erleben in die Kontexte ‚Arbeit‘ und ‚vernetzte Gesellschaft‘ ein und trifft damit natürlich mein Steckenpferd. Denn eine Krankheit ist nur dann Krankheit, wenn die Umwelt um einen herum andere Erwartungen hat, man unter seinem Zustand leidet und gerade herrschende Normalitätsvorstellungen die Symptome als abweichend definieren (s. o.).

    Dankenswerterweise geht Lobo auch auf seine Privilegien ein (Mannsein, bildungsbürgerliches Umfeld, wirtschaftliche Unabhängigkeit) und darauf, dass Frauen bei der Erforschung und Symptomerkennung von Krankheiten oft nicht ausreichend berücksichtigt werden (man nennt das den Gender Health Gap). Alles in Allem hat Lobo einen Umgang mit seiner Erwachsenen-ADHS gefunden: Er betrachtet sie als ein „Set von Fähigkeiten und Verhaltensweisen, die sowohl mit schwierigen Seiten als auch sehr positiven Effekten verbunden sind“ (S. 19) und geht den negativen Symptomen (z. B. Unaufmerksamkeit) auf den Grund, um daraus positive Abwandlungen (z. B. Assoziationsvermögen)zu ziehen .

    Alles in Allem gehen die drei Artikel des SPIEGEL zum Titelthema ADHS aus meiner Sicht völlig in Ordnung. Die Artikel von Hackenbroch und Lobo sind darüber hinaus durchaus bereichernd, auch dann, wenn man sich mit ADHS bereits auskennt. Lasst mich diese Replik mit einem nochmaligen Zitat von Sascha Lobo abschließen:

    „Es ist eine ständige, nie aufhörende Herausforderung, aber es ist meine Herausforderung, und ich habe sie lieben gelernt.“

    Literatur

    Bernard, A. & Padtberg, C. (2025): Abgelenkt und trotzdem da, in: DER SPIEGEL, 03/2025, S. 8-14.

    Flaßpöhler, S. (2021): Sensibel. Über moderne Empfindlichkeit und die Grenzen des Zumutbaren. Stuttgart: Klett-Cotta Verlag.

    Hackenbroch, V. (2025): Das geht dann bling, bling, bling, in: DER SPIEGEL, 03/2025,S. 15-17.

    Jahraus, O.; Nassehi, A.; Grizelj, M.; Saake, I.; Kirchmeier, C. & Müller, J. (2012): Luhmann-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart: J.B. Metzler.

    Lobo, S. (2025): Es ist kein Fehler, es ist eine Fähigkeit, in: DER SPIEGEL, 03/2025, S. 18-19.

    Luhmann, N. (2019): Schriften zur Organisation 2. Theorie organisierter Sozialsysteme. Wiesbaden: Springer VS.

  • Neurodiversität am Arbeitsplatz: Bereicherung oder Herausforderung?

    Neurodiversität am Arbeitsplatz: Bereicherung oder Herausforderung?

    Stellen Sie sich ein Team vor, das von einer Vielfalt an Perspektiven und Denkweisen geprägt ist: Einige Mitglieder arbeiten detailgenau und strukturiert, während andere kreative Problemlösungen und unkonventionelle Ansätze einbringen. Diese Unterschiede entstehen nicht zufällig, sondern sind Ausdruck neurodiverser Varianten und Denkstile, die in unserer Gesellschaft, aber vor allem am Arbeitsplatz oft ungenutzt bleiben.

    Was ist Neurodiversität?

    Der Begriff „Neurodiversität“ beschreibt die natürliche Vielfalt der Gehirne; die neurologische Verschiedenheit im Wahrnehmen und Denken (siehe auch → https://www.instagram.com/p/DA8WME0Nfgj/?img_index=1). Spricht man von Neurodiversität, dann umfasst dieser Begriff neurotypische Personen ebenso wie neurodivergente Menschen, also solche mit bspw. ADHS / ADS, Autismus-Spektrum-Störungen, Synästhesie, Legasthenie, Dyskalkulie oder Hochsensibilität. Schätzungen zufolge ist etwa jede fünfte Person in Deutschland neurodivergent. Wie können Unternehmen also ein Umfeld schaffen, in dem neurodivergente Mitarbeitende nicht nur inkludiert, sondern als bereichernd anerkannt werden? Werfen wir einen Blick auf die Chancen, Herausforderungen und Ansätze für eine Kultur der Neurodiversität am Arbeitsplatz.

    Wegbereiter oder Weicheier?

    Menschen aus dem neurodivergenten Spektrum wird viel zugeschrieben – Gutes wie Schlechtes. Je nachdem, welcher Entwicklungsvariante sie angehören, schätzt man ihre Problemlösungsfähigkeiten, das kreative Denken über den Tellerrand, das Innovationspotenzial oder – bspw. bei Autismus – die Detailgenauigkeit. Menschen mit ADHS oder Hochsensibilität werden darüber hinaus oft als empathisch beschrieben und besitzen eine gute Intuition, was für die Arbeit mit und am Menschen hilfreich sein kann. Neurodivergente Mitarbeitende können aber auch impulsiv oder sozial unangemessen reagieren, sind schnell reizüberflutet, leicht ablenkbar und erleben Stress oft besonders intensiv.

    Studien bestätigen, dass bspw. hochsensitive Personen einerseits empathischer und kreativer sind 1, andererseits aber auch Stress- und Burnout-gefährdeter.2  Wyrsch et al (2020) haben herausgefunden, dass Personen, die ihre Neurosensitivität eher als Vorteil erleben (Vantage-Sensitivität) höhere Leistungen zeigen als Personen, die ihre Neurosensitivität eher als Nachteil erleben (Vulnerable Sensitivität).3 Haben Menschen mit einer vulnerablen Sensitivität jedoch förderliche Arbeitsbedingungen, erbringen sie sogar eine etwas höhere Aufgabenleistung als wenigsensitive Mitarbeitende. Die höchste Aufgabenleistung erbrachten Duos aus vantage-hochsensitiven Mitarbeitenden mit vantage-hochsensitiven Führungskräften. Wenn vulnerabel-hochsensitive Mitarbeitende von vantage-hochsensitiven Führungskräften geführt werden, wird ihre tendenziell verringerte Aufgabenleistung durch die Führungsperson erhöht. Vantage-Sensitivität ging in den Untersuchungen mit erhöhter Führungsqualität von Führungskräften einher, vulnerable Sensitivität mit verringerter Führungsqualität.

    Mit den passenden Kontextbedingungen sind hochsensitive oder andere neurodivergente Mitarbeitende also sehr wohl leistungsfähig. Was aber sind förderliche Kontextbedingungen am Arbeitsplatz?

    Förderliche Arbeitsbedingungen bei Autismus, ADHS und Co.

    Als Organisation können Sie die Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit Ihrer neurodiversen Beschäftigten gezielt fördern, indem Sie ein inklusives Arbeitsumfeld schaffen. Die meisten Menschen mit Autismus, ADHS, ADS oder Hochsensibilität leiden bpsw. unter einer Reizfilterschwäche, d.h. sie können Reize nicht so filtern wie neurotypische Menschen. Akustische, visuelle oder taktile Reize prasseln daher ununterbrochen auf sie ein – das stresst.

    Um dennoch gut arbeiten zu können, haben sich z.B. folgende Maßnahmen als hilfreich erwiesen:

    • eine reizarme Umgebung: kleine Büros, kein Durchgangsverkehr, Rückzugsräume, geeignete Lichtsituation …
    • flexible Arbeits- und Pausenzeiten
    • klar kommunizierte Strukturen und Abläufe
    • eine wertschätzende, klare Kommunikation
    • klare, direkte Absprachen
    • regelmäßige Feedback-Gespräche
    • diskriminierungsfreie Organisationsstrukturen

    Strategien zur Förderung von Neurodiversität im Unternehmen

    Als Unternehmen können Sie bereits bei der Rekrutierung darauf achten, neurodivergente Talente nicht auszuschließen. Formulieren Sie Stellenanzeigen so, dass sie inklusiv und einladend für neurodiverse Bewerbende sind. Dabei sollte auf eine klare, konkrete Sprache geachtet und stereotype Beschreibungen vermieden werden.

    Klassische Vorstellungsgespräche können für Personen aus dem neurodiversen Spektrum oft eine hohe Hürde sein. Bieten Sie daneben auch alternative Formate wie strukturierte Interviews, praktische Aufgaben oder Arbeitssimulationen an, um die Fähigkeiten neurodiverser Bewerbenden einschätzen zu können. Bei der Bewertung von Kandidatinnen und Kandidaten sollte der Schwerpunkt auf den tatsächlichen Fähigkeiten und Potenzialen liegen, nicht ausschließlich auf formalen Qualifikationen oder lückenlosen Lebensläufen.

    Auch Mentoring-Programme können neurodivergente Personen unterstützen: Eine Begleitung, die auf die individuellen Bedürfnisse des Mentees abgestimmt ist, bietet wertvollen Erfahrungsaustausch und vermittelt das Gefühl, nicht alleine dazustehen.

    Nicht zuletzt sind Beratungen, Workshops oder Schulungen für das A) neurodiverse Team, B) den neurodivergenten Mitarbeitenden und C) die Führungskraft ratsam und hilfreich. Das dabei gewonnene gegenseitige Verständnis reduziert Vorurteile und Missverständnisse. So erhöht sich die Zufriedenheit, Bindung und Produktivität des gesamten Teams.

    Fazit

    Beschäftigte mit ADHS, Autismus oder Hochsensibilität haben Stärken und Schwächen wie andere Menschen auch. Damit sie ihr volles Potenzial entfalten können, sind sie aber stärker als neurotypische Mitarbeitende auf bestimmte Rahmenbedingungen angewiesen. Die Integration neurodivergenter Menschen ins Unternehmen bringt oft die Notwendigkeit mit sich, klare Kommunikationsstrukturen und unterstützende Arbeitsumgebungen zu schaffen – Aspekte, die der gesamten Organisation zugutekommen.

    Quellen

    1. Acevedo, B. P., Aron, E. N., Aron, A., Sangster, M., Collins, N., & Brown, L. L. (2014). The highly sensitive brain: An fMRI study of sensory processing sensitivity and response to others‘ emotions. Brain and Behavior, 4(4), 580–594. / Bridges, D., & Schendan, H. E. (2019). The sensitive, open creator. Personality and Individual Differences, 142, 179–185
    2. Andresen, M., Goldmann, P., & Volodina, A. (2018). Do overwhelmed expatriates intend to leave? The effects of sensory processing sensitivity, stress, and social capital on expatriates‘ turnover intention. European Management Review, 15, 315–328. / Evers, A., Rasche, J., & Schabracq, M. J. (2008). High sensory-processing sensitivity at work. International Journal of Stress Management, 15(2), 189–198.
    3. Wyrsch, Patrice, de Groote, Julia & Hack, Andreas (2020): Hoch(neuro)sensitive Mitarbeitende: Weicheier oder Wunderkinder? In: Arbeitsberichte des Instituts für Organisation und Personal, Abteilung Personal, der Universität Bern. Ausgabe 2020-1. Bern Open Publishing. Verfügbar unter: https://boris.unibe.ch/141844/1/Arbeitsbericht_Wyrsch_deGroote_Hack.pdf

    Arbeitsplatzberatung für Beschäftigte mit ADHS / ADS / Autismus / Hochsensibilität
    Onlinekurse – Workshops – Sensibilisierungsschulungen – Mentorensuche
    Analyse Ihrer Kommunikations- und Einstellungsprozesse – Organisationsberatung zu Neurodiversität und dem Faktor soziale Herkunft
    Erstberatung kostenlos

  • Wenn Stress auf ADHS trifft: Warum Betroffene besonders gefordert sind

    Wenn Stress auf ADHS trifft: Warum Betroffene besonders gefordert sind

    Was ist ADHS?

    ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung) ist eine neurologische Entwicklungsstörung bzw. Entwicklungsvariante, die durch die Haupt-Symptome Unaufmerksamkeit, Impulsivität und Hyperaktivität gekennzeichnet ist. Diese und weitere Symptome betreffen vor allem die exekutiven Funktionen des Gehirns, also die Fähigkeit, Aufgaben zu planen, zu organisieren und sich zu fokussieren. ADHS betrifft Kinder, Jugendliche und Erwachsene und hat einen signifikanten Einfluss auf viele Lebensbereiche.

    Was ist Stress?

    Stress ist eine physiologische und psychologische Reaktion auf Herausforderungen oder Bedrohungen, die den Körper in einen „Kampf-oder-Flucht“-Modus versetzen. Diese Reaktion kann kurzfristig hilfreich sein, um auf akute Gefahren zu reagieren. Andauernder Stress wiederum kann zu Kopfschmerzen, Verspannungen und Schlafstörungen führen. Wird Stress chronisch, können Probleme mit dem Verdauungssystem (Reizdarm / -magen), Magengeschwüre oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen auftreten. Psychisch kann es zu Depressionen, Burnout oder Angststörungen kommen.

    Ähnlichkeiten zwischen ADHS-Symptomen und Stressreaktionen

    Interessanterweise gibt es eine erhebliche Überlappung zwischen den Symptomen von ADHS und typischen Stressreaktionen. Sowohl bei ADHS als auch bei Stress treten Probleme mit der Konzentration, Impulsivität und emotionaler Reizbarkeit auf. Dies kann dazu führen, dass Stress und ADHS sich gegenseitig verstärken. Der berühmte Teufelskreis regiert bspw. in folgenden Bereichen:

    1. Konzentrationsprobleme: Menschen mit ADHS haben Schwierigkeiten, ihre Aufmerksamkeit über längere Zeiträume auf eine Aufgabe zu fokussieren. Stress verschlimmert diese Situation, da er die kognitive Leistungsfähigkeit reduziert, die Aufmerksamkeit weiter fragmentiert und dadurch die Konzentration weiter abbaut​​.
    2. Impulsivität: Stress kann die Selbstkontrolle und das rationale Denken beeinträchtigen, was zu impulsivem Verhalten führt – ähnlich wie bei ADHS. Personen mit ADHS neigen in stressigen Situationen noch mehr als ohnehin schon dazu, impulsiv zu handeln, ohne die Konsequenzen zu bedenken​.
    3. Emotionale Dysregulation: Sowohl Stress als auch ADHS führen zu einer erhöhten emotionalen Reaktivität. ADHS-Betroffene erleben Emotionen oft intensiver. Unter Stress wird diese Reaktivität weiter verstärkt, was zu schnelleren Wutausbrüchen, Frustrationen und Stimmungsschwankungen führt​​. Kleine Frustrationen, die normalerweise handhabbar wären, können unter Stress zu starken emotionalen Reaktionen führen. Diese emotionalen Ausbrüche verstärken wiederum das Gefühl der Überforderung und tragen zu einem negativen Selbstbild bei, was Betroffene noch mehr stresst.
    4. Reizüberflutung und Stress: Eines der zentralen Merkmale von ADHS ist die Reizoffenheit. Menschen mit ADHS haben Schwierigkeiten, unwichtige Reize auszufiltern, was zu einer ständigen Flut an Informationen führt. Diese Reizüberflutung erzeugt Stress, da das Gehirn überfordert ist und sich nicht auf die wichtigsten Aufgaben konzentrieren kann. Gleichzeitig verstärkt Stress die Reizempfindlichkeit, wodurch die Betroffenen noch empfänglicher für Reize werden. Dies führt zu einem ständigen Zustand der Überforderung​.
    5. Exekutive Dysfunktion und Aufgabenmanagement: ADHS-Betroffene haben Schwierigkeiten, Aufgaben zu priorisieren und zu organisieren – ein zentrales Problem der exekutiven Dysfunktion. Wenn sie unter Stress stehen, verschlimmert sich diese Dysfunktion. Stress beeinträchtigt die Fähigkeit, klar zu denken und strukturierte Entscheidungen zu treffen, was dazu führt, dass noch mehr Aufgaben unerledigt bleiben. Die wachsende To-do-Liste erhöht den Druck, was den Stress weiter verschärft​​.

    Stress verstärkt ADHS-Symptome

    Stress wirkt auf neurobiologischer Ebene als Verstärker für ADHS-Symptome. Studien zeigen, dass chronischer Stress das Dopamin- und Noradrenalin-System beeinflusst – beides Neurotransmitter, die für die Konzentration und Impulskontrolle bei ADHS entscheidend sind. Wenn der Stresslevel steigt, wird das ohnehin schon gestörte Neurotransmitter-Gleichgewicht weiter verschoben, was ADHS-Symptome wie Impulsivität und Ablenkbarkeit intensiviert​.

    Wissenschaftliche Erklärungen: Stress als Verstärker der ADHS-Problematik

    Der neurobiologische Ansatz zur Erklärung dieses Teufelskreises liegt in der Dysregulation der Stressachsen, insbesondere der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse (HPA-Achse), die bei ADHS oft empfindlicher reagiert. Chronischer Stress führt zu einer dauerhaften Aktivierung dieser Achse, was zu erhöhten Cortisolspiegeln führt. Diese wiederum beeinträchtigen das präfrontale Kortex, der für die exekutiven Funktionen verantwortlich ist, und verstärken die Unfähigkeit, klar zu denken, Entscheidungen zu treffen und Emotionen zu regulieren​.

    Fazit: Den Teufelskreis durchbrechen

    Um den Teufelskreis aus ADHS und Stress zu durchbrechen, sind gezielte Strategien notwendig. Dazu gehören:

    • Psychoedukation: Wissen über ADHS aneignen, Zusammenhänge begreifen, sich selbst in diesem Wissen einordnen.
    • Stressoren reduzieren: Wo es möglich ist, sollten ADHS-Patienten bekannten Stresssoren ausweichen oder zumindest immer wieder kleine Rückzugsphasen einbauen.
    • Achtsamkeitsübungen: Diese können helfen, den Geist zu beruhigen und die Reizüberflutung zu reduzieren.
    • Strukturierter Alltag: Routinen und klare Strukturen können helfen, die exekutiven Dysfunktionen auszugleichen und das Stressniveau durch gewohnte Handgriffe und Abläufe zu senken​.
    • Therapie und Medikation: Psychotherapie, insbesondere kognitive Verhaltenstherapie, sowie medikamentöse Behandlungen können helfen, sowohl die ADHS-Symptome als auch den Umgang mit Stress zu verbessern​​.

    Die Interaktion zwischen ADHS und Stress ist komplex und oft selbstverstärkend. Aber mit den richtigen Strategien und einem tiefen Verständnis der neurobiologischen Mechanismen können Menschen mit ADHS lernen, Ihre Stressmuster zu erkennen und ihre Lebensqualität zu verbessern.